7 Mythen und Fehler der Nutzerforschung

Daniel Schupp

Daniel Schupp

Management Garden Team

8. Juli 2015
9 Minuten

Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich von Ingenieuren höre: „Ach, wir brauchen keine Kundentests. Wir haben Kennzahlen.“ Und natürlich sind Designer der Meinung: „Warum sollten wir einen A/B-Test machen mit dem neuen Design? Wir wissen, dass es besser ist!“

Bei der Frage, ob man qualitative oder quantitative Forschung betreiben sollte, gibt es viele Scheidepunkte, an denen man auf den Holzweg geraten kann. Darum betrachten wir nun einige Mythen von qualitativer und quantitativer Forschung, sowie die häufigsten Fehler bei der Anwendung.

Ein Gast-Beitrag von Laura Klein

Laura Klein hat mehr als 15 Jahre im Silicon Valley verbracht. Sie arbeitet dort als Ingenieurin, User Experience Designerin und Produktmanagerin und hilft Start-ups mehr über die Kunden herauszufinden, damit sie bessere Produkte bauen können. Nebenbei arbeitet sie als Autorin (UX for Lean Startups) und hat für O´Reilly Radar zum Thema Nutzerforschung einen Blogpost geschrieben, den sie uns als Gastbeitrag zur Verfügung stellt.

 

 

Nur um sicher zu gehen, dass wir alle das gleiche Verständnis haben: Wenn ich von qualitativer Forschung spreche, meine ich Aktivitäten unter Einbezug realer Menschen. Qualitative Forschung hat nämlich nie mit dem Sammeln von Datenmengen zu tun, die eine statistisch signifikante Aussage zulassen.

 

Nutzerforschung = Usability Testing

Wenn mir Leute sagen, sie wollen Nutzerforschung machen, meinen sie in ca. 90% der Fälle eine ganz bestimmte Art von Nutzerforschung: Usability Testing. Mit anderen Worten: Sie machen Tests mit ihren Produkten oder Prototypen und schauen, wo Nutzer Probleme haben.

Bitte nicht falsch verstehen: Das ist eine unglaublich wichtige Art von Nutzerforschung, aber es ist eben nur eine von vielen Methoden.

Man braucht übrigens kein Produkt oder Prototyp, um qualitative Nutzerforschung zu betreiben. Damit kann man starten, sobald man eine Idee, einen Markt oder auch nur einen einzigen potentiellen Kunden hat. Im Grunde genommen sollte man mit dem Verstehen von Kunden und seinen Problemen lange starten, bevor man auch nur irgendetwas baut. Potentielle Nutzer zu interviewen, steigert deine Chancen, dass sie das was Du bauen wirst mögen werden um ein Vielfaches. Und dann, klar, teste die Benutzerfreundlichkeit was das Zeug hält!

 

Kunden wissen nicht, was sie wollen

Der häufigste Grund, der angegeben wird, warum die Kunden nicht befragt werden lautet: „Kunden wissen nicht, was sie wollen.“ Auch wenn das manchmal stimmen mag, zählt das nicht als Grund nicht mit ihnen zu sprechen. Es ist nur ein guter Grund, sie nicht zu fragen, was genau sie gerne haben wollen.

Stattdessen, solltest Du Menschen nach ihren Problemen fragen. Frage sie nach Geschichten, wie sie andere Produkte benutzen oder wie sie Kaufentscheidungen treffen. Frage sie, wann und wo sie bestimmte Produkte benutzen. Im Zug? Im Auto? Auf der Arbeit? Frage sie nach ihrem Leben. Die Leute sind zwar nicht so gut darin Dir zu sagen, welches Produkt sie garantiert benutzen werden, aber sie sind sehr gut darin Dinge über sich selbst zu erzählen. Und das ist eine großartige Chance für Dich zu verstehen, ob Du ein Produkt für sie baust oder nicht.

 

Qualitative Forschung kann mit jedem gemacht werden

Leider nehmen es Unternehmer sehr wörtlich, wenn ich ihnen sage, sie sollen mit Leuten reden, bevor sie ein Produkt entwickeln. An dieser Stelle möchte ich betonen: Es zählt nicht, den eigenen Bruder zu fragen!

Wenn Du versuchst etwas über Menschen zu lernen, die später Deine Nutzer sind, solltest Du auch Leute fragen, die tatsächlich Deine Nutzer sein könnten. Wenn Dein Bruder nicht Deine Zielgruppe ist, ist seine Meinung nicht viel wert. Aber das ist sie wahrscheinlich sowieso nicht, weil er Dich mag und will, dass Du glücklich bist. Und weil er Angst hat, dass wenn die Start-up Sache nichts wird, Du auf seiner Couch schlafen willst.

Also, wenn Du potentielle Nutzer befragen willst, nimm Dir Zeit und finde die richtigen Leute. Suche Dir Leute aus, deren Problem Dein Produkt löst. Oder Leute, die bereits vorher schon einmal nach ähnlichen Produkten gesucht haben. Von ihnen bekommst Du weitaus schneller hochwertiges Feedback.

 

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Erkenntnisse qualitativer Forschung helfen Produkte besser an den Kundenbedürfnissen ausrichten zu können. Hier erfahren Sie mehr dazu.

 

„Aber der Befragte hat gesagt, er würde es kaufen!“

Auch wenn Du die richtigen Leute gefunden hast, gibt es eine Frage, die man nie stellen darf. Traurigerweise ist genau diese, die wahrscheinlich meist gestellte Frage in der frühen Nutzerforschung: „Würdest Du dieses Produkt kaufen?“

Aus irgendeinem Grund besteht der Mythos, dass einem Leute sagen könnten, ob sie ein Produkt kaufen würden, das bisher weder designed, noch ein einziges mal gebaut worden ist. Das ist ungefähr so, als wenn man sie bitten würde die Zukunft voraus zu sagen – und hat eine ähnliche Eintrittswahrscheinlichkeit.

Qualitative Forschung heißt nicht, irgendjemand eine Landingpage oder einen Prototyp zu zeigen und zu fragen: „Würdest Du das kaufen?“ Tatsächlich ist das der größte Selbstbetrug, denn die Befragten werden mit überwältigender Mehrheit sagen „Ja!“. Nur weil sie nett sein wollen.

 

Meine Lieblingsmythen und –fehler bei quantitativer Forschung

Zu quantitative Forschung zählen A/B Tests, Trichter Metriken und Analysen. Quantitative Forschung ist der Prozess Informationen zu sammeln, über das, was gerade mit einem bestehenden Produkt passiert.

 

Metriken ersetzen das Design

Aus irgendeinem Grund glauben Leute, dass man jede verrückte Idee, die einem in den Sinn kommt A/B-testen kann. In deren Welt, entwickeln Ingenieure algorhythmisch jede mögliche Idee für Features und testen dann, welche am besten funktioniert. Aber so läuft das nicht. A/B-testen bedeutet lediglich, dass man neue Designs oder was auch immer miteinander oder mit einem Mindestanspruch vergleicht. Das hat nichts damit zu tun, wie man auf die Ideen kommt, die man testet.

Wie bereits gesagt, der beste Weg auf gute Produkte zu kommen ist, raus zu gehen und Nutzer zu beobachten, Probleme zu finden, die man lösen kann und dann gute Design-Prozesse zu nutzen, um sie zu erledigen. Wenn Du damit anfängst A/B Tests zu machen, ändert das überhaupt nichts an diesem Vorgehen. Man sichert lediglich ab, dass man Messgrößen hat, wie sich Änderungen auf das Nutzerverhalten auswirken.

Theoretisch kann man alles A/B-testen. Wenn man zwei schlechte Umsetzungen testet, führt das aber faktisch trotzdem zu einem schlechten Ergebnis. Deshalb ist das Design immer noch unglaublich wichtig und kann nicht durch Testen ersetzt werden. Es kann lediglich den Einfluss eines Designs messen.

 

Gutes Design lässt sich nicht messen

Das bringt mich zur anderen Seite der Münze. Fast immer rufen die Designer: „Gutes Design kann man nicht messen!“ Von wegen! Das geht sehr wohl. Design existiert nicht im Vakuum. Es gibt immer ein Ziel. Normal ist das Ziel, das Nutzerverhalten so zu verändern, dass sich langfristig positive Effekte für das Geschäft ergeben – insbesondere das Geschäft der Firma, die das Gehalt des Designers zahlt.

Mit den Werkzeugen, die uns zur Verfügung stehen, können wir messen, wie Design-Änderungen das reale Nutzerverhalten verändern. Wir können nachvollziehen, ob ein Redesign die Umsätze vergrößert oder eine Änderung der Typographie die Zeit, die man auf der Seite verbringt, verlängert. Wir können erfassen, ob eine Änderung im Registrierungsprozess eine höhere Konversion zur Folge hat oder ob ein neues Feature die Interaktion verbessert.

Das ist wichtig, weil manchmal die Dinge, bei denen wir sicher sind, dass sie funktionieren eben nicht funktionieren. Wir müssen das wissen, um sicherzugehen, dass wir nicht immer und immer wieder die gleichen Fehler machen, bis wir mit unseren wunderbar gestalteten, aber total unprofitablen Produkten am Ende sind.

 

A/B Test-Optimierungen

Der größte Fehler, den ich im Bereich der quantitativen Forschung sehe, ist der Missbrauch von A/B Tests. Menschen verbringen unglaublich viel Zeit damit A/B Tests aufzusetzen, um dann so kleine Optimierungen, wie Button Farben oder Text Änderungen zu testen. Sicher, alle paar Jahre kommt es mal vor, dass man die Konversion enorm optimieren kann, durch das Ändern einer Button-Beschriftung. Aber normalerweise haben derart kleine Änderungen einen minimalen Effekt auf das Nutzerverhalten.

Vorsicht, das heißt nicht, dass man nicht A/B testen soll – Man sollte es nur besser machen! Man kann nämlich weit mehr testen, als nur kleinste Änderungen der Seite. Zum Beispiel kann man große neue Funktionen nur für eine kleine Gruppe freischalten, um zu überprüfen, ob dies eine Verbesserung der Messgrößen zur Folge hat. Man kann den Registrierungsprozess für die Hälfte der neuen Nutzer ändern. Man kann sogar komplette Produktneugestaltungen testen. Das sind eigentlich die Sachen, die man testen sollte.

Bitte verwende A/B Tests nicht nur für die kleinteiligsten und isoliertesten Änderungen, die Du vornimmst. Denn die haben den geringsten Einfluss auf Dein Endresultat. Gehe aber umgekehrt sicher, dass Du mindestens den Einfluss all Deiner großen Änderungen überprüfst.

Der Originaltext ist im O’Reilly Radar veröffentlicht.

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