„AGIL“ gegen „NICHT-AGIL“ – vom Glaubenskrieg, der keiner sein müsste

Stefan Hoch

Stefan Hoch

Management Garden Team

9. Mai 2018
8 Minuten

„Um Gotteswillen – bleib mir damit weg …“ und „Kruzifix – haben die sie noch alle …“ sind zwei aktuelle Beispiele unverhoffter Emotionsausbrüche aus unseren Projekten. Wenn starke Emotionen ins Spiel kommen, verbirgt sich meistens ein großer Erkenntnisschatz. Der Grabenkampf, der bei diesen Zitaten für Wallung sorgt, spielt sich zwischen überzeugten Agilisten und den Vertretern traditioneller Unternehmensvorgehensweisen ab.

Aus Sicht der Agilisten werden die Rahmenbedingungen, unter denen Unternehmen organisiert und Mitarbeiter geführt werden, immer komplexer. Es gab schon immer viele Einflussfaktoren auf den Erfolg einer Unternehmung, aber die Geschwindigkeit, mit der heute Veränderungen die Märkte bestimmen, wird immer höher. Und dennoch, unter scheinbar gleichen Bedingungen, verarbeiten die einen den Wandel besser und erfolgreicher als andere. Die traditionelle Art und Weise, wie mit komplexen Situationen umgegangen wird, ist zunehmend unpassend und ganz offensichtlich fällt es schwer, sich zu lösen und das zu verändern.

Die Verfechter der bewährten Vorgehensweisen halten diese bewährten Methoden weiterhin für zeitgemäß. Die agilen Vorgehensweisen würden keine Vorteile bieten und die Unschärfe im Detail bei Vorgehen und Ergebnis sei unzureichend.

Wir haben in unseren Kundenprojekten dazu drei Beobachtungen gemacht und kommen zu einer klaren These, die die verschiedenen Positionen erklärt und Lösungsansätze schafft.

Erstens: Die Aufgabe bestimmt das Vorgehen. Was muss erledigt werden und wie ist die Situation?

Die erste Feststellung: Das Vorgehen wird von der Aufgabe bestimmt. Das gilt es ganz emotionsfrei festzuhalten. Eine Aufgabe setzt sich aus einem Auftrag in einer konkreten Situation zusammen.

Nehmen wir zunächst ein einfaches Beispiel aus dem Alltag. Sie haben gestern eine rote Mappe mit wichtigen Unterlagen für das nächste Meeting vergessen. Einfaches Problem, einfache Lösung. Vor dem Meeting gehen Sie noch schnell in Ihrem Büro vorbei und holen die Mappe. Anders sieht das schon aus, wenn es plötzlich stockfinster ist. Da muss man vielleicht die Handy-Taschenlampe einschalten, damit man sich zurechtfindet. Da die Situation sehr vertraut ist, könnte man vielleicht sogar den Auftrag ohne Sicht und nur tastend erfüllen. Oder womöglich liegt die Mappe gar nicht an Ihrem eigenen Arbeitsplatz liegt, sondern in einer anderen, Ihnen nicht vertrauten Umgebung, wie z. B. den Workshop-Räumen im dritten Stock, wo man erst einmal war. Oder die Mappe ist gar bei der Kollegin, die heute auf Geschäftsreise ist, zu Hause. Das Problem wird immer komplexer und die Aufgabenlösung auch. Es macht einen Unterschied, ob eine Situation oder Aufgabe klar ist oder nicht. Entsprechend ist auch der Lösungsweg unterschiedlich einfach oder komplex. In einer vereinfachten Stacey-Matrix haben wir die Unterschiedlichkeit der einfachen und komplexen Problemlösung einmal dargestellt.

Inwiefern ich eine Aufgabe als klar oder unklar einschätze, verändert den Blick auf die Lösung.

Übertragen wir dieses Beispiel auf die unterschiedlichen Prozesse und Aufgaben in einem Unternehmen. Rufen Sie sich mal ein konkretes Projekt vor Augen, in dem nach der Aufgaben- und Zielstellung eigentlich alles klar ist. Aber dann tritt ein Ereignis ein und der Projektplan muss angepasst werden. Wenn man von einer hohen Klarheit von Situation und Aufgabe ausgeht, dann fühlt es sich an, als habe der Projektleiter versagt. Wenn aber zu Beginn anerkannt ist, dass es wenig Klarheit zur Situation und Aufgabe gibt, dann scheint eine Anpassung des Plans nur natürlich und angemessen.

Zweitens: In Unternehmen existieren mehrere Organisationsformen gleichzeitig nebeneinander und die Unternehmen halten das auch aus – eigentlich.

Die zweite Feststellung: Innerhalb des gleichen Unternehmens ist die Arbeit auf viele verschiedene Weisen organisiert. Die Linienarbeit ist je nach Bereich und Abteilung, also nach der Unterschiedlichkeit der Aufgaben ganz anders organisiert und auch innerhalb von Bereichen kann es unterschiedliche Arten der Zusammenarbeit geben, je nachdem, was zu tun ist. Der Modus Operandi funktioniert in der Finanzbuchhaltung eben anders als der Vertrieb oder die Produktion. Unternehmen haben mehrere Betriebsmodi gleichzeitig und das funktioniert. Wir sprechen dabei von multi-modalen Organisationen.

Noch offensichtlicher wird das, wenn man Linien-Strukturen mit Projektarbeit vergleicht. Diese ist nochmal anders als die Organisation der Linien. Projekte kommen insbesondere dann zum Einsatz, wenn Aufgaben unschärfer sind als das normale Liniengeschäft.

Auch Projektarbeit ist, je nach Aufgabe und Situation, unterschiedlich organisiert. Ein Grillfest für die Belegschaft wird anders geplant und hat eine andere Komplexität als die Entwicklung einer neuen Software. Bei dem Grillfest gibt es eine klare Zeitvorgabe, das Mengengerüst wird erarbeitet, ein Rahmenprogramm geplant. Eine eindeutige sequentielle Projektstruktur, die wir in unserer Stacey-Matrix links unten einordnen.

Die Entwicklung einer neuen Software aber ist dann besonders erfolgreich, wenn sie in kurzen Iterationen in einem Projektteam entwickelt wird. Das Projektteam kann die Arbeit prüfen, anpassen, neue Gedanken und Ereignisse aufgreifen und verarbeiten. Diese agile Vorgehensweise ermöglicht es dem Team, die komplexe Aufgabenstellung Schritt für Schritt zu konkretisieren, auf neue Herausforderungen bzw. den tatsächlichen Fortschritt entsprechend kurzfristig zu reagieren und diese in die Arbeit zu integrieren. Entsprechend würde sich ein solches Projekt rechts oben in Matrix finden.

Und bei solchen agilen Vorgehensweisen stößt das konstruktive Nebeneinander der verschiedenen Organisationsformen scheinbar an Grenzen.

Drittens: Scheinbar gibt es eine Ausnahme. Agile Vorgehensweisen in einem nicht-agilen Umfeld führen zur schwerwiegenden Spannungen.

Ein paar Absätze weiter oben, ist festgehalten: Unternehmen haben mehrere Organisationsformen gleichzeitig und dies funktioniert – eigentlich. Die Praxis widerspricht dem jedoch bei einer Gruppe von Fällen. In unseren Projekten erleben wir täglich, dass agile Projekte in nicht-agilem Umfeld zu Spannungen führen – in der Hälfte der Fälle zu schwerwiegenden Spannungen.

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Es ist nicht damit getan agil zu wollen, sondern auch diese Aufgabe richtig anzugehen. Wir bieten eine Fallstudie im Rahmen der Transformation einer Organisationseinheit an. Erfahren Sie mehr dazu.

An den Punkten, an denen sich diese Spannungen zeigen, sind Muster zu beobachten. Zunächst geht man wohlwollend von Missverständnissen aus und aus der Lösung von Einzelfällen entsteht zunächst vermeintliches, wechselseitiges Verständnis. Spätestens bei der nächsten Situation zeigen sich unterschiedliche Überzeugungen zur Gesamtaufgabenstellung und -situation. Entsprechend unserer ersten Beobachtung kommt man damit zu einer unterschiedlichen Einschätzung, wie jetzt vorzugehen ist: traditionelle Methoden oder doch agil? Das mündet dann in unterschiedlich starken wechselseitigen Bekehrungsversuchen. Im Zeitverlauf reiben sich die Beteiligten zunehmend auf und die oben zitierten Grabenkämpfe entwickeln sich.

Mit Blick auf die erste Beobachtung greift das wechselseitige Bekehren zu kurz.

Die Kernfrage: Warum ist das so? Wie können agile und nicht-agile Vorgehensweisen konstruktiv zusammenarbeiten?

Es gilt zu verstehen wo die Schwierigkeiten genau liegen und wie man sie lösen kann. Dabei schauen wir in die Theorie und die Praxis.

Wo funktioniert das heute schon sehr gut? Ein Beispiel für eine Multi-Modale-Organisation, die wir alle kennen, ist ein Krankenhaus, das stationäre Behandlungen anbietet und auch eine Notfallambulanz hat. Im stationären Behandlungsablauf gibt es feste Vorgehensweisen und Abläufe, die den Ärzten und dem Pflegepersonal einen sicheren Handlungsrahmen geben. Auf Diagnostik folgt Behandlung, OP-Planung, Pflege usw. Die Notfallambulanz muss ganz anders agieren. Da gilt es schnelle, situative Entscheidungen zu treffen. Es muss entschieden werden, ob ein OP-Raum direkt und jetzt benötigt wird und wer von den Patienten noch warten muss. Die Komplexität der zu treffenden Entscheidungen ist hoch und die Situationen können nicht vorher geplant werden.

Was können wir aus diesen Praxis-Beispielen lernen? Was sind die Muster? Was funktioniert und wie genau? Warum ist der eine Weg erfolgreich und der andere nicht? Wie sehen erfolgreiche und auch nicht erfolgreiche Praxisbeispiele aus? Hier hilft ein Blick in die Theorie: Was sagt die Wissenschaft und wo sind die Stellhebel in einer Organisation? Unternehmen sind zurzeit in einer Findungsphase und lernen neue Lösungswege für die wachsende Komplexität zu finden. Aus unseren Erfahrungen wissen wir, dass es in ca. 90 % aller agil gesteuerten Projekte Spannungen mit dem Umfeld gibt.

Gemeinsam mit Praxis-Experten und Taktgebern aus Wissenschaft und Forschung werden wir uns in den nächsten Monaten dieser Frage stellen. In einer offen angelegten Lernreise werden wir unter anderem mit Organisationspsychologen, Transaktionstheoretikern, Komplexitätsforschern und natürlich Vertretern aus der Wirtschaft sprechen und unsere Erkenntnisse mit Ihnen teilen. Wollen Sie dabei sein? Sprechen Sie uns an!

 

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Stefan Hoch
Stefan Hoch

Management Garden Team

Stefan Hoch ist Gründer und Geschäftsführer von Safari Consulting. Seit 2000 hilft Safari seinen Kunden dabei, Innovationen zu realisieren. Mit der Digitalisierung wird die Fähigkeit, sich schnell und kundenzentrisch auf Veränderungen einzustellen zum entscheidenden Erfolgsfaktor.

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