Corporate Entrepreneurship bei der Deutschen Telekom

Christopher Arz

Christopher Arz

Management Garden Team

22. Juni 2015
11 Minuten

Die vorangegangenen Beiträge aus unserer Serie zum Thema Corporate Entrepreneurship haben den Begriff grundlegend hergeleitet, Forschung und Praxis betrachtet und Experten zu Wort kommen lassen. Dabei wurden Herausforderungen und Hürden diskutiert, aber auch Methoden und Lösungsansätze. In unserem letzten Beitrag zu dieser Serie möchten wir euch nun ein konkretes Best Practice Beispiel zeigen.

Die Deutsche Telekom ist mit über 220.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 62,7 Mrd. € in 2014 eines der größten europäischen Telekommunikationsunternehmen. Zum Kerngeschäft gehören insbesondere der Betrieb technischer Netze und Informations- sowie Kommunikationsdienste. Heute kann die Telekom als ein gutes Beispiel herangezogen werden, wenn es um Corporate Entrepreneurship geht. Wie geht der Konzern das Thema Innovationsmanagement an? Welche Lösungen werden für die Überwindung der komplexen Hierarchien und Prozesse gefunden, um im Sinne eines Startups dynamisch agieren zu können? Wir wollten es genau wissen und sprachen mit Peter Borchers und Johannes Nünning.

Johannes Nünning

Johannes Nünning ist Founder und Leiter des UQBATE-Programms der Deutschen Telekom. Er hat eine hohe Expertise für Intrapreneurship, Innovationsmanagement sowie im Bereich Corporate Startups. Zudem zeichnen ihn umfangreiche Erfahrungen aus seiner Führungs- und Expertenkarriere im Bereich Telekommunikation/Internet, Utility und Automobilindustrie aus, insbesondere in den Aufgabenfeldern Konzernstrategie und Corporate Finance sowie Marketing.

Peter Borchers

Peter Borchers ist Gründer und Leiter von hub:raum, dem in Berlin, Krakau und Tel-Aviv ansässigen Telekom Incubator. Er ist seit über 15 Jahren im Bereich Internet und digitale Medien tätig, war Mitgründer eines Internet Start-ups (everseven) und arbeitete als Berater bei einer amerikanischen Unternehmensberatung. Zudem nahm er Aufgaben in verschiedenen Management Positionen der Deutschen Telekom wahr und hat u.a. die Tochtergesellschaft Telekom Innovations aufgebaut. Er ist außerdem Mitgründer und Mitglied des Leitungsgremiums der ESCP Unternehmerschule. Deren Executive Management Programme adressieren den – im Zuge der Digitalisierung – zunehmenden Bedarf etablierter Industrien für eine stärker unternehmerisch geprägte Aus- und Weiterbildung. Seit 2015 ist Peter Borchers Mitglied des Beirats „Junge Digitale Wirtschaft“ beim Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi).

Das Individuum im Zentrum

In einem großen Konzern existieren oft nur wenige Menschen, die sich als Intrapreneure bezeichnen würden. Diese Mitarbeiter arbeiten nur teilweise im Bereich Innovationsmanagement und sondern haben oft andere Beschäftigungsfelder und Positionen inne. Eine zentrale Charaktereigenschaft ist jedoch all diesen Personen gemein: sie haben Mut, den Status quo verändern zu wollen. Den Mut, sich aus der Masse hervorzuheben und neue Wege, zum Wohle des Unternehmens, zu gehen. Das ist häufig schwieriger als gedacht.

„Ein Corporate Entrepreneur muss sich die eigenen Möglichkeiten des Handelns erstmal erarbeiten“, sagt Johannes Nünning. „Die große Herausforderung besteht darin, dass man als Mitarbeiter zunächst mal in eine Hierarchie eingebunden ist und eine Funktion in einer arbeitsteiligen Organisation erfüllen muss.“ Dabei stehen teilweise auch Organisationslogiken im Weg, die auf althergebrachte Industrieproduktion zurückzuführen sind, jedoch heute vielfach nicht mehr zeitgemäß zu sein scheinen. In diesen Logiken müssen Organisationen unabhängig von den handelnden Personen funktionieren. „Organisation können nicht kreativ sein, nur Individuen“, mahnt Nünning. „Zur Entfaltung des kreativen Potenzials müssen Individuen von ihren ursprünglichen Aufgaben befreit werden. So werden letztlich Bedingungen geschaffen, die man auch bei einemStartup vorfindet.“ Damit ist Corporate Entrepreneurship für Johannes Nünning ein sehr stark personenzentrierter Ansatz. Die Energie, Urteilskraft und Ideen des Individuums stehen folglich im Vordergrund.

hubraum berlin

Die Telekom versucht, das kreative Potenzial des Individuums zu nutzen.

Ähnlich sieht das auch Peter Borchers. Corporate Entrepreneurship bedeutet für ihn, in einem eigentlich hierarchisch geprägten Umfeld unternehmerisch zu denken und zu handeln. Im Konzernumfeld muss ein Individuum die Initiative ergreifen und Dinge tun, die nicht zwangsläufig mit der Position zu tun haben, die man inne hat, jedoch letztlich dennoch für das Unternehmen Sinn machen. Die Unternehmenskultur spielt dabei eine enorme Rolle. „Corporate Entrepreneurship ist geradezu ein maximales Kulturthema. Deshalb wird es auch letztlich sehr stark durch die Mitarbeiter geprägt“, sagt Borchers. Zudem sieht er das Ziel von Corporate Entrepreneurship darin, neue Prozesse und Strukturen zum Wohle des Unternehmens aufzubauen. Dabei wird die Notwendigkeit für einen Wandel jedoch häufig zu Beginn nur von einer kleinen Gruppe an Mitarbeitern erkannt und muss entsprechend zunächst von einer Minderheit vorangetrieben werden.

Kampf gegen Windmühlen

Eine bedeutende Hürde besteht im Hinblick auf das „not invented here“ Syndrom, das sehr häufig in etablierten Unternehmen auftritt. Damit wird man immer konfrontiert, wenn man etwas Neues tun möchte. „Das Syndrom beschreibt aus meiner Sicht nicht nur eine Immunität gegen Einflüsse von außen, sondern durchaus auch gegen neue Einflüsse von innen“, erkennt Peter Borchers. „Zudem haben etablierte Unternehmen einen riesigen Respekt davor, Dinge auszuprobieren, sie einfach mal zu tun. Stattdessen lebt man in dem Glauben, dass alles bis ins kleinste Detail geplant werden muss. Bei größeren Veränderungen ist dies aber oftmals nicht möglich.“

Konzerne müssen folglich erkennen, dass bei gänzlich neuen Unternehmungen der Ausgang ungewiss und das Risiko zu scheitern groß ist. Mit anhaltendem Erfolg sind Unternehmen darauf jedoch häufig nicht eingestellt. Stattdessen liegt der Fokus auf dem Kerngeschäft und der Verwaltung des bislang Erreichten. Gleichzeitig sind Entscheidungsprozesse in Konzernen sehr aufwändig und auf Sicherheit bedacht. Risiken sollen möglichst minimiert werden – darum geht es. Die Überwindung dieser Denkhaltung ist äußerst schwierig. Eine wesentliche Grundlage liegt darin, die Unterstützung des Top Managements einzuholen, damit sich Mitarbeiter Freiräume nehmen und Nebenprojekte veranstalten können. „Man benötigt eine Erlaubnis um eigene Innovationen initiieren zu dürfen“, erkennt Johannes Nünning.

In vielen Organisationen ist Innovationsmanagement jedoch delegiert. Das heißt, es ist, ähnlich wie die Produktion oder der Vertrieb, eine Funktion im Organigramm und in erster Linie eine Frage von Zuständigkeiten. In solchen Einheiten hat man sehr häufig Personen, die dauerhaft im Innovationsbereich bleiben. Deren Jobs sind Scouting, Marktanalysen, Reports, Informationen zu aggregieren und aufzubereiten sowie Konsequenzen für das Kerngeschäft abzuleiten. Damit sind diese Aufgaben sehr eng am Business orientiert. Dadurch entsteht, wahrscheinlich eher unmerklich, eine bestimmte Hierarchie und Organisation. „Bei einer strategischen Problemstellung kommt eher selten die Frage auf, ob man jemanden im Unternehmen hat, der sich besonders gut auskennt, sondern vielmehr wer die entsprechende Zuständigkeit aufgrund der ihm zugeschrieben Position besitzt“, sagt Johannes Nünning. Dies ist in großen Konzernen, die betriebswirtschaftlich optimiert und stark am Kerngeschäft ausgerichtet sind, eine sehr gängige Arbeitsweise. Die hierarchische, arbeitsteilige Ausrichtung und das Effizienzstreben stehen dabei, so sinnvoll sie auch für die Verwaltung des Kerngeschäfts sein mögen, einem effektiven Innovationsmanagement im Weg. Entsprechend müssen Ansätze gefunden werden, um diese Strukturen aufzubrechen oder zu komplementieren.

Zwei sich ergänzende Ansätze der Deutschen Telekom

Hub:raum und UQBATE sind zwei konkrete Ansätze, die zeigen, wie Corporate Entrepreneurship im Konzern implementiert werden kann. Während Hub:raum als Inkubator der Deutschen Telekom externe Startups fördert, konzentriert sich UQBATE auf das interne Potenzial und versucht, den eigenen Mitarbeitern und Intrapreneuren eine Plattform zu bieten, um ihre Ideen weiterzuentwickeln. Ein exzellentes Beispiel, wie sich intern und extern gerichtete Methoden ergänzen können.

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Hub:raum investiert gezielt in Startups aus dem Digitalbereich und unterstützt sie aktiv bei der Weiterentwicklung ihrer Geschäftsidee. Dabei spielen vier Aspekte eine zentrale Rolle. Erstens bekommen diese Startups finanzielle Unterstützung – bis zu 300.000 €. Damit bietet Hub:raum einen sehr frühphasigen VC. Zweitens hat Hub:raum jeweils einen Campus in Berlin, Krakau und ist darüber hinaus mit einem Office in Tel Aviv vertreten. Von hier können die Startups arbeiten, wenn sie Räumlichkeiten benötigen. Viele Teams nutzen das intensiv. Drittens gibt es eine aktive Betreuung, sowohl durch das Hub:raum-Team als auch durch ausgewählte Telekom-Experten sowie ein großes Netzwerk an Mentoren und Experten. Diese Leute waren meist selbst schon einmal als Gründer erfolgreich. Viertens bietet Hub:raum den Startups einen pragmatischen und effektiven Weg, um mit einem großen Konzern zusammenzuarbeiten und die hier vorhandene Schwungmasse zu nutzen. „Für die Telekom ist Hub:raum eine Möglichkeit, um mit Hilfe der Startups ein strategisches Innovations-Sourcing zu betreiben. Die Startups werden helfen uns, frühzeitig relevante Innovationen kennenzulernen und ins Unternehmen herein zu holen“, hält Peter Borchers fest. „Die bestehenden Strukturen und Denkweisen von etablierten, erfolgreichen Großunternehmen ist oft einfach nicht so gut geeignet, um radikale Innovationen zu entwickeln.“ Das Ziel ist dann erreicht, wenn erfolgreiche Projekte herbeigeführt und nützliche Aspekte für das Kerngeschäft der Telekom, beispielsweise ein produktdifferenzierender Faktor, extrahiert und implementiert werden konnte.

Hubraum

Hub:raum investiert gezielt in Startups aus dem Digitalbereich.

Aber ist denn gar nicht möglich, Innovationen aus dem tiefsten Inneren eines Konzern-Tankers heraus zu schaffen? UQBATE möchte das Gegenteil beweisen. Das Format richtet sich an Intrapreneure und erlaubt ihnen, sehr schnell zu lernen, wie sie aus einer eigenen Idee ein funktionierendes Geschäftsmodell entwickeln können. „Wir suchen gezielt unternehmerische Talente innerhalb des Konzerns, die eine Geschäftsidee haben und sie selbst angehen möchten“, erläutert Johannes Nünning. „Dabei bieten wir einen Schutzraum für experimentelles Arbeiten und haben uns sehr stark an Vorgehensweisen und Veranstaltungen der Tech Startup Szene orientiert.“ Methoden wie Lean Startup spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Grundhaltung dahinter ist, dass es zu teuer ist, Dinge zu bauen, die kein Kunde möchte. Das bedeutet wiederum, dass man sehr früh herausbekommen muss, ob eine Idee eine Resonanz hat bzw. ob man das Problem bzw.das Bedürfnis, das dem Kunden eigen ist, tatsächlich verstanden hat. Diese sehr prototypische und empathische Arbeitsweise ist ein zentrales Element von UQBATE. Dabei wurden auch Formate wie das Startup Weekend als so genannte UQBATE Startup Days, also Bootcamps innerhalb des Unternehmens, adaptiert, um die Teams und die Ideen zu identifizieren und zu aktivieren. So hilft das Programm nicht nur Ideen zu bewerten, sondern vor allem die handelnden Personen kennenzulernen. Wir erinnern uns – Corporate Entrepreneurship ist bei der Telekom ein sehr personenzentrierter Ansatz. Insbesondere das Arbeiten in verantwortlichen, kleinen Teams soll die Kreativität fördern und die Lerngeschwindigkeit erhöhen. Für die Mitarbeiter ist das Engagement bei UQBATE anfangs noch ein Teilzeitjob, der sich jedoch bei Erreichen einer fortgeschrittenen Finanzierungsrunde auch zunehmend aufwändiger gestalten kann. Gleichzeitig bringt dieser Startmodus viel Flexibilität, da die meisten Geschäftsideen letztlich nicht zu verwirklichen sind.

Der Stellenwert von Hub:raum und UQBATE innerhalb des Konzerns

Die beiden Formate haben aktuell noch unterschiedliche Stellenwerte im Konzern. Während Hub:raum inzwischen schon sehr gut positioniert ist und die volle Unterstützung des Managements genießt, läuft UQBATE noch eher abseits des Radars.

„Hub:raum ist heute eines der anerkannten Innovationsinstrumente der Telekom“, bescheinigt Peter Borchers. Das war allerdings nicht immer so. Die Entwicklung solcher Formate braucht Zeit. Und die Geduld, um gegen interne Widerstände anzukämpfen. „Wichtig ist jedoch vor allem, dass der CEO, sowohl René Obermann als auch aktuell Timotheus Höttges, sowie die Innovationseinheit Products & Innovations sich eindeutig zu uns bekennen“, sagt Borchers. Das zahlt sich aus. Andere Konzerne bewundern den Fortschritt bei der Deutschen Telekom und nennen den Inkubator häufig als Best Practice. Entsprechend streben viele deutsche DAX-Unternehmen die Implementierung ähnlicher Formate an und lassen sich Tipps von der Telekom geben. Das steigert natürlich auch die interne Reputation.

UQBATE ist hingegen aktuell noch weithin unbekannt. Das ist jedoch für ein solches Format nicht unbedingt ein Nachteil. „Mein Gedanke war von Anfang an, eher ,underground‘ anzufangen”, erklärt Johannes Nünning. Gleichzeitig war nicht abzuschätzen, ob es bei der Deutschen Telekom genügend gute Ideen und Mitarbeiter gibt, die für diese Ideen brennen. „In den letzten drei Jahren haben wir jedoch sehr positive Erfahrungen gemacht und konnten alle Anforderungen, die das Konzept mit sich bringt, erfüllen“, sagt Nünning. Aus 400 Ideen konnten bereits drei Produkte in den Markt gebracht werden, die aktuell schon Umsätze erzielen.

Corporate Startup Summit als wertvolles Event für Intrapreneure

Johannes Nünning ist Mitgründer des Corporate Startup Summit, Peter Borchers sitzt im Beirat. Beide treten zudem regelmäßig im Rahmen des Events als Speaker auf, um von ihren Erfahrungen bei der Deutschen Telekom zu berichten. „Wir wollten ein Event schaffen, das Corporate Entrepreneurship sichtbar macht und die Akteure miteinander vernetzt“, sagt Nünning. „Es ist sehr wertvoll, wenn man mitbekommt, dass auch Menschen in anderen Firmen gegen den Wind segeln und ähnliche Erfahrungen machen. Hier profitieren die Teilnehmer von der gegenseitigen Unterstützung.“ Dabei adressiert das Event ein noch vergleichsweise junges Thema. „Die Einbindung von Startup-Methoden in den Konzern ist durchaus noch sehr neu“, sagt Borchers. Die beiden Telekom-Intrapreneure sind jedoch davon überzeugt, dass die Verknüpfung von Konzern- und Startup-Welt keinesfalls ein Modethema ist, sondern das Innovationsmanagement über die nächsten Jahre intensiv beschäftigen wird. „Das Thema wird sich in den noch deutlich weiterentwickeln und auf alle Branchen übergreifen“, ist sich Borchers sicher.

Das liegt auch daran, dass die Markteintrittsbarrieren durch die digitale Transformation deutlich niedriger geworden sind und für viele Konzerne damit eine zunehmende Bedrohung von außen besteht. Das gilt auch für den Standort Europa, der seine Stärken gerne zur Schau stellt, jedoch zunehmend realisieren muss, dass sich die Welt in Zukunft noch schneller ändern kann, als vorhersagbar. „Die beste Form zur Begegnung dieser Bedrohung ist es, im Konzern ähnliche Bedingungen zu schaffen, wie sie bei vielen digitalen Angreifern, den Startups vorzufinden sind. Der Corporate Startup Summit versucht hier einen Beitrag zu leisten“, erläutert Nünning. „Es gibt letztlich jede Menge sinnvolle Ansätze, um die Konzern und Startup-Welt zusammen zu bringende. Der Corporate Startup Summit ist das erste Event, das diese Ansätze strukturiert und die Leute zusammenführt, die einzelne Methoden bereits anwenden“, ergänzt Borchers. Wir sind gespannt auf dieses Jahr.

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Christopher Arz
Christopher Arz

Management Garden Team

Christopher Arz hält einen Master in Sales and Marketing und hat tiefgreifende Expertise in den Bereichen Product Management, Marketing und Innovationsmanagement. Im Rahmen seiner Master-Thesis beschäftigte er sich umfassend mit dem Thema Corporate Entrepreneurship.

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