Heißes Eisen: „Registermodernisierung“ deutscher Verwaltungen – vom europäischen Vorbild zum Sorgenkind?

Christian Matuschka

Christian Matuschka

Management Garden Team

14. Dezember 2020
10 Minuten

Draußen wird es kälter, ungemütlicher und früher dunkel. Wegen der Pandemie fiel dieses Jahr der Urlaub im Süden für viele von uns aus. Was bleibt uns übrig? Vielleicht eine Traumreise in zukünftige Zeiten unbeschwerter Tage ohne Maske und auszufüllender Kontaktformulare? Das Imaginieren schöner Momente soll ja die Stimmung auch schon im hier und jetzt heben.

Was soll’s – Ich probiere es aus und schließe die Augen:

Es ist Frühling in Neapel, angenehme 24 Grad, ich sitze im gemütlichen Lokal auf der Terrasse mit Vino Bianco und genieße den Blick auf die Insel Ischia. Tolle Insel übrigens, weiß auch unsere Kanzlerin, sie macht dort immer wieder gerne Urlaub. Heute gönne ich mir mal etwas: Rinder-Carpaccio als Vorspeise – 18,60 Euro für drei hauchdünne Rinderstreifchen? Frech, denk ich mir, aber ich beruhige mich schnell gebetsmühlenartig mit dem Gedanken: „Komm, wir sind im Urlaub“. Mit gewohnter italienischer Leichtigkeit und Gastfreundschaft fragt der Ober spätestens beim Servieren der gegrillten Regenbogenforelle nach meiner Herkunft. Bei der Antwort „Dalla Germania“ erwarten mich die klassischen Attributzuweisungen aus dem Urlaubs-Smalltalk. Deutschland, das ist bekannt für: „Pünktlichkeit, Genauigkeit, Disziplin und Bürokratie“.

Und da haben wir sie wieder, die eingestaubten Stereotypen. Moment mal, meine Traumreise geht an irgendwie in eine ungeplante Richtung, denk ich mir. Ich entscheide mich, den Gedanken freien Lauf zu lassen und frage mich plötzlich: Wie kommt es eigentlich zu diesem inoffiziellen „Bürokratie-Titel“? Und ist Deutschland heute überhaupt noch der Champion, wenn es um Verwaltungsthemen geht?

Es stimmt, die Preußischen Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit und Ordnung sind für viele Historiker nicht zuletzt die Eckpfeiler für den guten Ruf der deutschen Verwaltungen. Der pflichtbewusste Beamte, der schon für Max Weber als Vorbild für rationales Handeln der Gemeinschaft galt und im Inland sowie bei unseren europäischen Nachbarn großes Ansehen und Respekt genießt.

Aber ist das denn noch immer so? Vor dem Hintergrund des digitalen Zeitalters ist Deutschland im europäischen Vergleich alles andere als ein Vorreiter. Vom Verwaltungs-Vorbild vergangener Tage ist wenig übrig. Im Gegenteil, die deutschen Verwaltungen hinken an vielen Stellen stark hinterher. Vor allem im Vergleich zu Nordeuropa und dem Baltikum wird der Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung des öffentlichen Sektors besonders deutlich. Ganz vorne steht das Digitalisierungs-Zugpferd Estland, was die Strukturen deutscher Behörden buchstäblich alt aussehen lässt. Schon länger ziehen im Affentempo die skandinavischen Länder Finnland, Schweden und vor allem Dänemark nach. Da könnte man sich jetzt die Frage stellen, wie die deutsche Verwaltungsbranche sich da so den Schneid abkaufen lassen konnte? Bei dem gefühlten „Vorsprung“ und den Vorschusslorbeeren vergangener Prunkzeiten der Verwaltung, hatten wir doch alles selbst in der Hand, könnte man meinen. Leider kann man den Fortschritt der Digitalisierung deutscher Verwaltungen mit denen anderer Länder schwer vergleichen, spätestens hier kommt die bekannte Analogie der „Äpfel und Birnen“ zum Tragen.

Aktuelle Beispiele wie die Corona-App haben gezeigt, wie empfindlich die Deutschen bei dem Thema Datensicherheit sind. Während beispielsweise die Dänen ihrer Krone und Regierung in all ihrem Handeln fast blindlings vertrauen, ist die Sensibilität in Deutschland in Sachen Schutz personenbezogener Daten sehr viel höher. Dass die deutsche Bevölkerung die Verfassung mit Argusaugen bewacht, hat vor dem Hintergrund unserer Geschichte zwar einen berechtigt hohen Stellenwert, auf der anderen Seite hemmt uns diese Haltung auch beim schnellen Fortschritt der digitalen Transformation der öffentlichen Hand. Ein klassisches Dilemma. Fakt ist: Wir müssen dafür eine Lösung finden, sonst geraten wir im europäischen Vergleich nolens volens noch viel weiter ins Hintertreffen. Das kann keiner wollen. Eine gesunde Mischung aus datenschutzrechtlichen Sicherheitsmechanismen und Offenheit für die digitale Transformation und den damit verbundenen neuen Maßnahmen muss also schnell gefunden werden.

Streitthema Nummer 1 ist hier wohl die sogenannte „Registermodernisierung“. Ein Thema, das polarisiert. So sehr die Kritik aus Richtung der Datenschützer an der Registermodernisierung auch berechtigt sein mag, sollte man genauso wenig die Augen davor verschließen, dass sie, wie Martin Irtmann (Director Strategy and Innovation von Orcale Deutschland) im Interview mit dem Behörden-Spiegel meint, ein „zentraler Baustein digitaler Verwaltungstransformation“ darstellt.

Registermodernisierung? Um was geht es da eigentlich?

Vielleicht sei an der Stelle noch einmal kurz erklärt, was ein Register ist. Bei Registern handelt es sich, allgemein gesprochen, um Datenbestände der öffentlichen Verwaltung. In Deutschland gibt es eine Vielzahl an Registern, die weitestgehend unabhängig voneinander geführt werden. So liegen zum Beispiel Daten zu unseren Wohnsitzen im Melderegister und im Grundbuch werden Eigentumsverhältnisse und Immobilien-Besitztümer dokumentiert. Aber auch private und sensible Daten von uns werden registriert, wie z. B. solche, die über Familienstände, höhere Aktivitäten in Vereinen und sogar unseren gesundheitlichen Zustand Auskunft geben.

Und was gibt es da zu modernisieren?

McKinsey & Company hat 2017 im Auftrag des nationalen Normenkontrollrats eine Studie durchgeführt, die den Status quo der deutschen Registerlandschaft im Detail untersuchte. Ziel war es Lösungen zu finden, um „die unnötige Bürokratie und gesetzlichen Folgekosten zu begrenzen und abzubauen“. Das Ergebnis: Die Datenmenge der deutschen Registerlandschaft wächst seit Jahrzehnten. Genervte Bürger, überforderte Beamte – die Behörden pfeifen aus allen Löchern. Aus allen Richtungen kommen Forderungen nach Erleichterung und Modernisierung. Die Idee: Eine Registermodernisierung, also die Vernetzung der verschiedenen Register. Vielleicht auch hier ein kurzes Gedankenspiel an der Stelle. Etwas extrem, aber es macht es ganz gut deutlich.

Sie wissen ja, wie das Leben oft so spielt, nur selten kommt eine Veränderung allein. Stellen Sie sich vor, Sie haben sich entschieden mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin ein Haus zu kaufen, sie ist schwanger, der gemeinsame Traum der eigenen kleinen Familie nimmt Gestalt an. Zum neuen Glück darf natürlich der lang erwünschte Familienhund nicht fehlen, und zu guter Letzt haben Sie den günstigen Hauskredit auch noch genutzt, um sich auch ein neues Auto anzuschaffen. Mit dem klassischen Verwaltungsweg steht Ihnen nun eine Ämter-Odyssee ins Haus. Sie melden morgen den neuen Wohnsitz bei der Behörde an, übermorgen zur KFZ-Zulassungsbehörde und, weil dann schon Donnerstag nach 13:00 Uhr ist, müssen die Elterngeldanträge wohl oder übel noch bis nächste Woche warten. Von der Anmeldung des Hundes haben wir jetzt gar nicht gesprochen. Ich glaube, ich muss hier nicht noch erwähnen, dass alle vier Dienststellen über unterschiedliche Adressen und Sprechzeiten verfügen, oder? Zart besaiteten Personen sieht man diesen Behörden-Marathon noch Wochen später im Gesicht an. Mit der Registermodernisierung können zwar nicht all diese Anmeldungen und Beantragungen in einem Abwasch durchgeführt werden, also auch in Zukunft wird uns der Beamte vom Standesamt nicht gleich auch noch das neue Auto anmelden können, zweifelsohne aber spart sie viel Zeit und Aufwand – und zwar für die Beamten und für die Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen.

„Wir als Menschen werden nur einmal geboren – aus Behördensicht jedes Mal aufs Neue!“ – eine ziemlich einleuchtende Analogie von Martin Irtmann aus dem Interview mit dem Behörden-Spiegel. Eine veraltete, umständliche und kontraintuitive Verwaltungsstruktur eben. Es ist nicht mein Anliegen, die berechtigte und wichtige Diskussion über den Datenschutz zu bagatellisieren und die Kritik gegenüber der Registermodernisierung abwiegeln zu wollen. Aber um dieser Zeit- und Kraftverschwendung für Bürger und Bediensteten Herr zu werden, braucht es einen standardisierten digitalen Zugriff auf Informationen aller relevanten Register, um einen einfacheren Datenaustausch zu gewährleisten. Um den Komfort der Bürger und der Bediensteten weiter zu steigern, wäre es zusätzlich von Nöten, neue Datensätze zu erschließen und gänzlich neue Register aufzubauen. Das könnte die Lücken fehlender, für einen einzelnen Vorgang benötigter Daten schließen, schlussfolgert McKinsey & Company in ihrer Untersuchung.

Klar ist aber auch: Unsere Daten müssen selbstverständlich durch sichere elektronische Schnittstellen geschützt werden, nicht jeder darf darauf zugreifen können. Und sowieso, das individuelle Recht, die eigenen Daten auf dem konventionellen Wege behandeln zu lassen, wird in einem Rechtsstaat jedem eingeräumt. Die Konsequenz für den Einzelnen, der das Häkchen zur Einverständnis der diesbezüglichen Handhabung nicht setzt, wäre zwar, dass er bei Umzügen und Anmeldungen verschiedenster Couleur eben doch den Ämter-Marathon bestreiten muss, das würde aber für hartgesottene Datenschutzskeptiker vermutlich kein Problem darstellen. Wenn sich nichts ändern würde, müssten sie es ja ohnehin tun. Im Umkehrschluss sollte aber für diejenigen, die auf die Vorzüge nicht länger verzichten wollen, also ein modernes und digitalisiertes Alternativangebot geschaffen werden – z. B. mit Hilfe der Registermodernisierung.

Wie also diese Herkulesaufgabe angehen? Wie könnten die nächsten Schritte aussehen?

Die Einführung einer zentralen Steuerungsstelle ist sicherlich die gangbarste Lösung, wenn auch gleichzeitig die Achillesferse der Diskussion um die Registermodernisierung. Erste Vorschläge des Bundesministeriums des Innern, die Steuer-ID als zentrale Kennziffer zu nutzen, treffen auf harsche Kritik seitens der Datenschützer. Auch die bayrische Ministerin für Digitalisierung, Judith Gerlach, möchte das „Once-Only-Prinzip“ nach estnischem Vorbild am liebsten baldigst umsetzen (Angaben bei Behörden sollen möglichst nur ein einziges Mal vorgelegt werden müssen – das spart eine Menge Zeit und Aufwand). Zudem wären für sie Möglichkeiten des Einsatzes von Blockchain-Technologien in der Verwaltung denkbar und zu prüfen, um in Sachen Datensicherheit weiterzukommen. Die Frage ist also, wie wir die Balance zwischen freiheitlichem Umgang mit unseren persönlichen Daten und den gewünschten attraktiven Bürgerservices für Bürger und Beamte finden können? Kurz gesagt: Wie den Datenschutz wahren und trotzdem nicht im gestern feststecken? Martin Irtmann sieht die Chance auf einen Kompromiss darin, „sektorspezifische“ Personenkennziffern durch den Einsatz innovativer Technologien einzuführen. So könnten neue Services angeboten und der Datenschutz gesichert werden. Wir sollten ebenso wenig die Augen vor technologischen Möglichkeiten verschließen, die schon vor unserer Nase bereitstehen. Sie können auch den Behörden als Innovationskatalysator dienen. Der wichtigste erste Schritt aber ist, sich dem Thema zu öffnen und zu versuchen, sinnvolle und umsetzbare Lösungen zu finden. Das gelingt nach Meinung des Experten am besten durch den kontinuierlichen Austausch interdisziplinärer Expertenteams und Bediensteten aus der Verwaltung. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass die Registermodernisierung nur einer von vielen wichtigen Bausteinen ist, die Verwaltungen zu digitalisieren. Das entscheidende Ziel, die Arbeitsabläufe im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, sowie für die Beamtinnen und Beamten zu erleichtern, steht als Leitstern über allem und darf nicht aus den Augen verloren werden.

Digitale Transformation – klingt nach einer Goliath-Aufgabe. Wie kann man das in einem ersten Schritt angehen?
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Gewiss haben die Veränderungen in Richtung Anschlussfähigkeit an das digitale Zeitalter ihren Preis, das Selbstverständnis der Verwaltungen wird sich richtungsweisend verändern. Alte Gewohnheiten werden Schritt für Schritt abgelegt werden müssen. Das braucht Zeit, Geduld und Kraft, ist aber langfristig ein lohnender Weg.

„Huch, da kam ich jetzt in meiner Traumreise wohl vom Hölzchen aufs Stöckchen.“ Warum ich  statt von Stränden, italienischem Essen und Dolce Vita zu träumen über die Registermodernisierung sinniert habe, weiß ich gar nicht so genau. Wichtig ist nur, dass mit Blick auf die Zukunft und die Registermodernisierung hoffentlich die Verwaltungslandschaft wieder in mehr Glanz und neuer Farbe erscheint, ähnlich wie das Wetter in Neapel, dass wir hoffentlich bald alle wieder ausgiebig genießen können.

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Christian Matuschka
Christian Matuschka

Management Garden Team

Christian Matuschka beschäftigt sich vor allem mit Strategie- , Führungs-, und Transformationsthemen. Da er im Rahmen des Verwaltungsdialogs Behörden beim Praxisaustausch zu Zukunftsthemen begleitet, liegt sein derzeitiger Fokus unter anderem auf dem Thema der Verwaltungsdigitalisierung.

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