Neue Arbeitsformen in der Verwaltung – Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit von Städten und Gemeinden

Christian Matuschka

Christian Matuschka

Management Garden Team

15. Oktober 2020
10 Minuten

Die Digitalisierung und die damit verbundene intelligente Vernetzung sind im vollen Gange und führen besonders Städte, Gemeinden und Behörden in eine neue Generation ihres Daseins. Doch öffentliche Institutionen müssen mit anpacken, sich dem Wandel offen gegenüber zeigen und die Digitalisierung so gestalten, dass der Mensch im Mittelpunkt steht.
Insbesondere Kommunen stehen vor der großen Herausforderung die Digitalisierung vor Ort sozialverantwortlich und bürgernah zu gestalten. Es geht darum, den Bürgerinnen und Bürger, den Unternehmen und der Verwaltung selbst ein Nutzungserlebnis zu erschaffen, dass der heutigen Zeit gerecht wird. Es greift zu kurz lediglich Produkte und Dienstleistungen zu digitalisieren. Auch die Prozesse müssen den neuen Anforderungen gerecht werden können.

Im Rahmen der Safari Community wurden wir vermehrt von Menschen aus der Verwaltung bezüglich der Digitalisierung von Kommunen angesprochen und so auf die Dringlichkeit des Themas aufmerksam gemacht. Mit großem Interesse an diesem spannenden und aktuellen Thema, sind wir auf die Suche nach Experten gegangen, um mehr darüber zu erfahren..

So sind wir auf Felix Schmitt gestoßen. Als selbstständiger Berater für kommunale Digitalisierungsstrategien, hilft er Kommunen auf ihrem Weg zur Digitalisierung. Da er selbst aus der Landespolitik kommt und bereits Einblick in dutzende Gemeinde und Städte gewonnen hat, weiß er ganz genau um die Problemstellen, aber auch um die althergebrachten Stärken der Kommunen Bescheid.

Wir haben Felix interviewt und wertvolle Erkenntnisse gewonnen, sowie spannende Geschichten gehört. Überzeugen Sie sich selbst:

Safari: Felix, schön dass du dir die Zeit nimmst. Vielleicht möchtest du kurz was zu deinem Hintergrund sagen, damit die Zuhörer und Zuschauer auch ein bisschen wissen, mit wem sie es hier zu tun haben.

Felix: Ja, gerne. Vielen Dank für die Einladung. Ich bin Felix Schmitt. Ich bin Coach und Berater im öffentlichen Sektor und arbeite an digitalen, kommunalen Strategien. Dabei helfe ich Verwaltungen sich zukunftsfit zu machen, sich in der digitalen Transformation zu orientieren und einen richtigen Nutzen aus den vielen Möglichkeiten, die es heute gibt, zu ziehen.

Safari: Jetzt ist die Digitalisierung ja nicht nur ein Selbstzweck, sondern damit kann man viele Dinge erreichen. Was sind denn die wichtigen Dinge, weswegen Digitalisierung in der Verwaltung relevant ist?

Felix: Also letztlich gibt es zwei wichtige Treiber. Der eine Treiber widmet sich einer wirklich sehr problemorientierten Betrachtung. Was ist gerade in der öffentlichen Verwaltung wichtig?

Da ist zum Beispiel der Punkt der Überalterung. In den nächsten zehn Jahren werden 40% der heute Bediensteten in den Ruhestand gehen und der benötigte Nachwuchs, gerade auch in den Fachbereichen, der ist überhaupt nicht in Sicht. Das heißt, die gleiche Arbeit von heute muss morgen von sehr viel weniger Leuten erledigt werden. Und die Aufgaben, wie man sieht, sie werden natürlich auch immer komplexer. Das ist der eine Treiber.

Der andere Treiber: Es gibt auch gesetzliche Vorgaben, wie das Onlinezugangsgesetz, das vorschreibt, dass bis Ende 2022 jede öffentliche Dienstleistung auch digital angeboten werden muss. Das heißt, wenn ich einen neuen Personalausweis brauche, dann gehe ich nicht zum Amt, sondern setze mich auf das Sofa und beantrage ihn von dort aus. Auch das muss irgendwie gewährleistet werden.

Das sind im Prinzip die zwei Treiber, die im Moment in den Kommunen das Bedürfnis danach wecken, dass die digitale Transformation auch einen echten Nutzen mitbringen muss.

Digitale Transformation – klingt nach einer Goliath-Aufgabe. Wie kann man das in einem ersten Schritt angehen? Wir glauben, dass der Austausch mit anderen Behörden hilft. Lassen Sie sich von behördenübergeifenden Dialogen über Praktiken und Ideen anderer Verwaltungen, die vor den selben oder sehr ähnlichen Herausforderungen stehen, inspirieren. Melden Sie sich hier an und sichern Sie sich ein kostenloses Kennenlern-Ticket.

Safari: Jetzt sind das ja große Innovationsvorhaben und wenn wir mal in die Wirtschaft schauen, wie das dort so passiert ist, dann hat man ja auch gemerkt, dass man hier und da auch die Arbeitsweisen ändern muss. Inwieweit gibt es denn dafür ein Bewusstsein und wie äußert sich das?

Felix: Also ich glaube der öffentliche Dienst steht da ehrlicherweise noch am Anfang. Aber das Bewusstsein, das ist heute da. Es gibt verschiedene, manchmal noch kleine, manchmal auch etwas größere Beispiele wie „New Work“ oder Agilität im Verwaltungshandeln und im öffentlichen Handeln, die auch schon Einzug erhalten hat. Zum Beispiel im Bauhof Herrenberg. Ich glaube viel bodenständiger kann man gar nicht mehr werden, als eine baden-württembergische Kleinstadt, wo 18 bis 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heute komplett agil zusammenarbeiten. Der letzte Chef, den es gab (den letzten Meister), den hat man sich eingespart und das Entgelt zum Beispiel teilen sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inzwischen untereinander auf, je nachdem wer wie viele Führungsaufgaben heute auch übernimmt. Wer das macht und wie er/ sie das auch macht, das klären die Leute unter sich. Jeder kann, wenn er möchte Führungsaufgaben übernehmen, aber niemand wird gezwungen. Und auch die Arbeit und die Zuteilung von Aufgaben wird dort heute rein selbstorganisiert durchgeführt. Das ist eine völlige Veränderung zu den Top-down-Strukturen, wie sie in der öffentlichen Verwaltung eigentlich üblich sind. Und die Erfahrungen, die in Herrenberg damit gemacht wurden, waren hervorragend. Nicht nur, dass die notwendigen Arbeiten sehr viel schneller erledigt werden, sondern dass auch die Qualität gestiegen ist. Die Leute haben heute viel mehr ein Auge da darauf „Was passiert bei mir vor Ort und wie kann ich das vielleicht auch lösen?“. Also die eigenverantwortliche Arbeit ist erheblich gestiegen und das merken die Leute in der jeweiligen Kommune. Die merken: Es ist sauberer, es wird schneller repariert und die Dienstleistungen, die vorher erbracht wurden und vielleicht Tage gebraucht haben, die sind jetzt auch in wenigen Stunden erledigt.

Safari: Wow. Das heißt Kundennutzen im Sinne von Bürgernutzen! In dem Beispiel sieht man nicht nur, dass agile Methoden schon eingeführt wurden, sondern da gibt’s auch schon die Beobachtung, dass das in der öffentlichen Hand tatsächlich auch einen direkten Kundenmehrwert stiftet, richtig?

Felix: Ja, absolut. Also man kann das an diesem Beispiel sehr schön zeigen, wie es funktioniert, aber man muss natürlich auch dazu sagen: Die Verwaltung, die steht am Anfang. Und die Herausforderungen sind hier vielleicht auch noch größer als im Bereich der freien Wirtschaft. Aber die Chancen, die sind genau die Gleichen. Da kann man nicht sagen, dass die Wirtschaft in irgendeiner Form einen Transformationsvorteil hat. Überhaupt nicht. Da sind die Möglichkeiten, die der öffentliche Dienst bietet (auch heute bereits schon bietet) wieder genau die Gleichen, wie man sie in der freien Wirtschaft auch vorfinden würde.

Safari: Spannend! Tatsächlich machen wir in der freien Wirtschaft auch die Beobachtung, dass sich dann auf einmal ganz neue Lösungsräume ergeben, wenn man Dinge nochmal anders macht, wenn man auch nochmal über offene Schnittstellen redet oder offene Daten zur Verfügung stellt. Gibt’s da auch schon Erfahrung und Bewegung im öffentlichen Raum?

Felix: Ja, immer mehr. Auch wenn es davon gerade im Bereich der offenen Daten noch viel mehr geben könnte, gibt es aber schon eine ganze Reihe an wunderbaren Beispielen, wo man auch zeigen kann, dass neu dazugekommene Probleme die Komplexität nochmal steigern und heute ganz anders gelöst werden können und müssen.

Also zum Beispiel haben die Bezirke in Berlin über eine Homepage, über eine Plattform, ermöglicht, dass Bürgerinnen und Bürger Baumpatenschaften übernehmen können. Einfach nur mal zurückblickend: Jetzt haben wir Herbst. Im letzten Sommer gab es den dritten viel zu trockenen Sommer am Stück und das belastet die Stadtbäume erheblich. Eine Stadt in Berlin hat glaube ich 600.000 Bäume, die alle erfasst sind und die alle eigentlich bewässert werden müssten. Das schafft keine Verwaltung. Und diese Bäume wurden jetzt alle in einer Karte dargestellt und dort kann man schauen: Welcher Baum ist in meiner Nachbarschaft? Was ist das für eine Sorte? Wie viel Wasser braucht er? Wann wurde er das letzte Mal gegossen? Kümmert sich vielleicht sowieso schon jemand darum? Und wenn nicht: Dann kann ich eine Baumpatenschaft übernehmen und gebe damit an „Diesem Baum helfe ich, indem ich ihm zum Beispiel jeden Tag drei, vier oder zehn Liter Wasser zukommen lasse.“
Und dadurch konnten Arbeitsabläufe in Berlin verbessert werden. Das heißt, der Aufwand, den die Bezirke weiterhin leisten mussten, um die Bäume zu bewässern, konnte zielgerichtet auf die Bäume ausgerichtet werden, die unterversorgt wurden. Das ist das eine.

Und das andere ist, dass das bürgerschaftliches Engagement, gerade in dem Bereich, gestärkt wurde. Das Ergebnis ist: Die Bäume hatten mehr Wasser. Also genau das, was wir hier am Ende auch brauchten.

Safari: Das klingt toll! Wunderbare Beispiele, vielen Dank dafür. Sind das jetzt Einzelfälle oder ist das weit verbreitet?

Felix: Also der öffentliche Sektor ist jetzt gerade im Aufbruch. Die Treiber, die es jetzt gerade gibt, die verstärken den Druck, die digitale Transformation jetzt auch anzunehmen, immens. Und das merkt man auf sehr, sehr vielen Ebenen. Auf der Ebene der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch auf der Ebene der Entscheiderinnen und Entscheider, die „jetzt“ sagen. Wir müssen jetzt auch wirklich etwas machen und auch Ergebnisse erzielen. Also wir stehen hier nicht ganz am Anfang bei dieser Entwicklung, sondern wir sind schon mittendrin, aber es ist noch sehr, sehr viel mehr möglich.

Safari: Es bleibt eine spannende Reise. Wir bedanken uns recht herzlich bei dir für deine Zeit, deine Bereitschaft für das Interview und wünschen dir noch viel Erfolg!

Es liegt also noch viel Arbeit vor den öffentlichen Institutionen und die Haltung für Veränderung muss noch routiniert werden, aber wie sagt ja bekanntlich der Volksmund: „Einsicht ist der erste Weg zur Besserung“ und „aller Anfang ist schwer“. Hier gilt es jetzt mit Nachdruck entsprechende Initiativen zu entwickeln und anzugehen – und zwar nicht des Selbstzwecks wegen, sondern auch um der gesamtgesellschaftlichen Verantwortungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden!

Eine kleine Notiz am Rande: Der US-Rechnungshof hat einen Leitfaden zur Bewertung agiler Unternehmen veröffentlicht. Der Leitfaden stellt Wirtschaftsprüfern, Behörden und anderen optimale Prinzipien und Praktiken vor, die ein agiles Management in der Verwaltung ermöglichen.

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Christian Matuschka
Christian Matuschka

Management Garden Team

Christian Matuschka beschäftigt sich vor allem mit Strategie- , Führungs-, und Transformationsthemen. Da er im Rahmen des Verwaltungsdialogs Behörden beim Praxisaustausch zu Zukunftsthemen begleitet, liegt sein derzeitiger Fokus unter anderem auf dem Thema der Verwaltungsdigitalisierung.

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