Verstehen, wie gutes „Agile“ aussieht

Steve Denning

Steve Denning

Gastbeitrag

26. August 2020
8 Minuten

Agiles Management begann als eine Arbeit aus Leidenschaft. Es entstand aus dem dringenden Wunsch unzufriedener Software-Entwickler, die Dinge in Ordnung zu bringen. Ihr Agiles Manifest (2001) erreichte nicht nur sein bescheidenes Ziel, “bessere Wege zur Entwicklung von Software aufzudecken”. Es kann – ohne dass es beabsichtigt war – DAS Paradigma für Management im Jahre 2020 werden.

So begann das agile Management mit der Erforschung von agileren Prozessen zunächst für ein Team, dann für mehrere Teams, dann für viele Teams und dann für die gesamte Organisation. Was in der Software begann, breitete sich auf andere Sektoren aus, wie Hardware, Einzelhandel und den öffentlichen Sektor. Agile setzte auch das Auftauchen von Firmen wie Amazon und Google in Gang, die nicht nur ihren Kunden und Benutzern Vorteile brachten, sondern auch, wohl oder übel, die Voraussetzung entwickelten, den gesamten Planeten zu beherrschen. Da die Gesellschaft nun um die Entscheidung ringt, was mit diesen neuen Giganten zu tun ist, ist es sinnvoll, ihre möglichen Fehler konzeptionell von den Prinzipien, Prozessen und Praktiken zu trennen, die ihnen ein so schnelles Wachstum ermöglichten. Wir müssen uns vor Augen halten, wie gutes „Agile“ aussieht – im Wesentlichen ein besserer Weg für Menschen, mehr Wert für andere Menschen zu schaffen.

Wie gutes „Agile“ aussieht

In jeder etablierten Organisation wird die Entscheidungsfindung in der Regel von einer kleinen Menge relativ stabiler Prinzipien (auch als Denkweise oder Managementmodell bekannt) geleitet. Diese Prinzipien führen in der Regel zu weiteren Prozessen und Praktiken, die die Prinzipien im Idealfall unterstützen, obwohl es in der Praxis in jedem einzelnen Unternehmen Inkonsistenzen und Lücken zwischen Prinzipien, Prozessen und Praktiken geben kann.

Prinzipien sind entscheidender als Prozesse oder Praxis. Unabhängig davon, wie wunderbar ein Prozess oder eine Praxis ist, wird es schwierig sein, in einem bestimmten Unternehmen zu überleben, wenn sie im Widerspruch zu den vorherrschenden Managementprinzipien des Unternehmens stehen.

Was ist Management? (angelehnt an Stephen Denning)

The Age of Agile (2018) argumentierte, dass es in wirklich agilen Firmen eine weit verbreitete Denkweise gibt, die in der Regel drei zentrale Managementprinzipien oder “Gesetze” widerspiegelt: Das Recht des Kunden, das Recht des kleinen Teams und das Recht des Netzwerks.

Diese Prinzipien stehen in direktem Gegensatz zu den Prinzipien des traditionellen Managements, die eher mit Geldverdienen und Befehls- und Kontrollgewalt zu tun haben. Die Prinzipien des traditionellen Managements sind oft eher implizit als explizit und stehen oft im Widerspruch zu der Art und Weise, wie die oberste Führungsebene die Firma nach eigenen Angaben geführt hat. Der in der Schweiz ansässige Autor und Berater Raymond Hofmann argumentiert, dass auch heute noch viele leitende Manager oft Schwierigkeiten haben, die Prinzipien zu artikulieren, nach denen die Firma tatsächlich geführt wird.

Die folgende Tabelle zeigt die Prinzipien, Prozesse und Praktiken des agilen Managements im Vergleich zu denen des traditionellen Managements des 20. Jahrhunderts.

Prinzipien, Prozesse und Praktiken des agilen und traditionellen Managements (angelehnt an Stephen Denning)

Die Verwendung der Tabelle

Die Tabelle hat mehrere Anwendungsmöglichkeiten:

  • Lernen, was mit Agilität zu tun hat: Die 18 Dimensionen der Prinzipien, Prozesse und Praktiken erinnern daran, dass der Aufbau einer agilen Organisation nicht einfach oder schnell ist. Es wird eine mehrjährige Anstrengung aller Mitarbeiter der Organisation erfordern.
  • Checkliste für Manager: Die Tabelle enthält eine Checkliste mit den Themen, die kurz- und mittelfristig behandelt werden müssen. Auf diese Weise können Manager ihre agile Transformationsreise planen und abbilden.
  • Ein Werkzeug zur Bewertung von Managementbüchern, Artikeln und Beratungsunternehmen: Die meisten Management-Bücher und -Artikel wählen ein bestimmtes Problem oder Thema innerhalb einer breiteren Konstellation von Prinzipien, Prozessen und Praktiken aus und schlagen eine Lösung für das gewählte Problem oder Thema vor. Die Durchführbarkeit der empfohlenen Lösung für ein bestimmtes Unternehmen hängt oft von dem Managementparadigma ab, in dem dieses Unternehmen derzeit tätig ist. Beispielsweise können ausgezeichnete Vorschläge für einen neuen Innovationsansatz (Blue Ocean Shift, 2017), eine neue Ökosystemstrategie (Ecosystem Inc., 2020) oder einen Ansatz zur Entbürokratisierung (Humanocracy, 2020) für ein Unternehmen, das sich die Kernprinzipien eines kompatiblen Managementparadigmas zu Eigen gemacht hat, hervorragend funktionieren. Aber die Vorschläge werden sich wahrscheinlich einer begrenzten Lebenserwartung in Firmen erfreuen, die sich weiterhin an die Kernprinzipien des Managements des 20. Jahrhunderts klammern. Sie laufen Gefahr, dem Schicksal zu begegnen, das Art Kleiner in The Age of Heretics (1996) beschrieben hat: Das Imperium wird zurückschlagen. Wie der Management-Guru Gary Hamel betont hat, ist oft eine “tiefere Veränderung der DNA-Ebene” erforderlich.
  • Klärung, warum das Management nicht vorankommt: Während die meisten Managementschriften in der Regel den einen oder anderen kleinen Aspekt des einen oder anderen Managementparadigmas klären, drängt der Druck des Marktes die Autoren zu der Behauptung, dass ihr Buch oder Artikel “die nächste große neue Sache” sei. Der Mangel an substanzieller Neuheit wird vor allem auf drei Arten verborgen.

a. „Das Amnesie/Eureka! Syndrom“

Eines der Probleme beim Schreiben zu Management-Themen ist die Tendenz, die Vergangenheit systematisch zu vergessen und sie dann mit dem Schrei “Eureka!” wieder zu entdecken. Seit Mary Parker Follett in den 1920er Jahren in Harvard und Oxford über Teams und den menschlichen Faktor sprach, haben nachfolgende Autoren die Teams und den menschlichen Faktor mit einem großem Tamtam “wiederentdeckt”. Dazu gehören Elton Mayo und Chester Barnard in den 1930er Jahren, Abraham Maslow in den 1940er Jahren, Douglas McGregor in den 1960er Jahren, Tom Peters und Robert Waterman in den 1980er Jahren sowie Smith und Katzenbach in den 1990er Jahren. Oft fehlt es dabei an einer historischen Perspektive.

b. „Alter Wein in neuen Schläuchen“

Das zweite Phänomen ist, dass kleinere Änderungen als große Veränderungen gehypt werden. Erst nach einigen Jahren der aufgeregten, aber problematischen Umsetzung, nach viel ausgegebenem Beratungsgeld und Millionen verkaufter Bücher wird deutlich, dass “the big new thing” weitgehend eine Neuauszeichnung des bestehenden Managementgedankens ist. “Business Process Reengineering” ist ein berüchtigtes Beispiel aus den frühen 1990er Jahren. In Büchern wie “Loonshots” (2019) und “Strategy Beyond the Hockey Stick” (2018) gibt es Anzeichen dafür, dass man in dessen Fußstapfen tritt.

c. „Jungfrauengeburt“

Seriöse wissenschaftliche Fachgebiete verfolgen systematisch die Entwicklung des Themas. Die Autoren achten darauf, Vorgängern Anerkennung zu zollen, alternative Standpunkte zu signalisieren und Sensibilität für die Entwicklung des Themas als Ganzes zu zeigen. Im Gegensatz dazu eliminieren Management-Zeitschriften systematisch Spuren früheren Denkens über das vorliegende Thema. Es ist, als seien die Artikel das Ergebnis “einer Jungfrauengeburt”, denn sie tauchen ohne jede legitime Abstammung in der Welt auf.

This article is a German translation of the article entitled “Understanding What Good Agile Looks Like” by Stephen Denning and was first published on Forbes.com at https://www.forbes.com/sites/stevedenning/2020/08/09/understanding-what-good-agile-looks-like/#4790be171f73

© Stephen Denning 2020 All rights reserved

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Management Garden Team

Steve berät Organisationen auf der ganzen Welt in den Bereichen Führung, Innovation, Management und Storytelling. Lange Zeit arbeitete er bei der World Bank, wo er viele Managementpositionen innehatte, darunter die des Direktors für Wissensmanagement (1996-2000). Derzeit ist er Direktor des SD Learning Consortium. Sein Buch "The Age of Agile" wurde 2018 von HarperCollins veröffentlicht und von der Financial Times zu einem der besten Wirtschaftsbücher des Jahres 2018 gewählt. Darüber hinaus ist er Autor des "Leader's Guide to Radical Management", des "Leader's Guide to Storytelling" und "The Secret Language of Leadership".
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