Ein()Blick in die Digitalisierung von Behörden und Verwaltungen

Jan Lieb

Jan Lieb

Management Garden Team

17. November 2020
13 Minuten

 Kurzes Quiz 💯: An wen oder was denken Sie, wenn Sie „behäbig, eingestaubt, stiefmütterlich und unendlich bürokratisch“ hören? Die meisten Menschen schreiben diese stereotypischen Attribute wohl Behörden und Verwaltungen zu. Doch haben sie damit Recht? Ist es berechtigt, dass Behörden und Verwaltungen grundsätzlich die Wandlungsfähigkeit abgesprochen wird? Womöglich wohnt dieser Einschätzung ein Funken Wahrheit inne. In der älteren Vergangenheit haben Behörden und Verwaltungen nicht vor innovativem und zeitgemäßem Sexappeal gestrotzt, aber wie sieht das in der jüngeren Vergangenheit und, vor allem viel wichtiger, in der Zukunft aus?

Digitalisierung ist in aller Munde 🗣, auch Behörden und Verwaltungen versuchen mitzusprechen, aber bisher sieht und hört man nur spärlich Schlagzeilen wie „Einfach, schnell und unkompliziert Dokumente beantragen“ oder “Ganz einfach und ohne Probleme von zu Hause aus den neuen Wohnsitz anmelden“. Was ist bisher wirklich geschehen und was nicht? Woran hapert es bei der Umsetzung und wo ist der populistische Schrei nach Digitalisierung vielleicht auch einfach fehl am Platz? Was wird bereits und in Zukunft noch unternommen, um „Produkte“ und „Prozesse“ in Behörden und Verwaltungen zu digitalisieren, zu verbessern oder schlicht zu vereinfachen? Im Zuge des OZG-Gesetzes – das Bund und Länder bis spätestens 2022 dazu verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen auch elektronisch über Verwaltungsportale anzubieten – ist der Innovationsdruck also gesetzlich angestoßen. Verschärft wird die Notwendigkeit auch daher, dass aufgrund der Überalterung der Mitarbeiter*innen in Behörden und Verwaltungen, viele Stellen mangels Nachwuchs nicht neubesetzt, aber trotzdem aufgabentechnisch übernommen werden müssen – und zwar von weniger und komplett anders sozialisierten Nachfolgern.

In unserer Blog-Reihe „Ein( )Blick in die Digitalisierung von Behörden und Verwaltungen“ 👀🕵️ sprechen wir mit interessanten Menschen aus dem Umfeld über genau die Herausforderungen und Chancen.

Heute: Polizei Rheinland-Pfalz 🚓👮

Ein großes Dankeschön geht an dieser Stelle vorab bereits an Laurin Scheuer, Dezernatsleiter beim Landeskriminalamt in Rheinland-Pfalz, der sich die Zeit für ein Interview 💬 genommen hat, das als Grundlage für den folgenden Blog-Artikel diente.

Stellen Sie sich einmal vor, dass Sie in einen zivilrechtlichen Konflikt geraten, der sich mit der Einsicht der beteiligten Akteure nicht bereinigen/lösen lässt. Würde Ihnen dabei ein telematischer Eingriff der Polizei helfen? Oder stellen Sie sich eine noch extremere Situation eines Unfalls mit Verletzten vor. Eine nur digital verfügbare Exekutive wäre eine sehr skurrile und naive Vorstellung. Heißt das also, dass der Kelch der Digitalisierung an der Polizei einfach so vorübergeht? MIT NICHTEN!

Man muss auch schon sagen, dass vieles, was die Polizei macht, einfach nicht unbedingt digitalisiert werden kann. Unsere Arbeit liegt halt viel in der Mensch-zu-Mensch-Beziehung. Ganz plakativ: Digitalisierung zum Selbstzweck muss ja wiederum auch nicht sein.“

„Natürlich waren das zwei sehr konstruierte und besondere Situationen, von denen sich ein pauschaler Verzicht von Digitalisierung selbstverständlich nicht ableiten lässt. Nichtsdestotrotz muss sich immer die Frage gestellt werden, welchen Mehrwert bringt die Digitalisierung im Kontext? Ist sie notwendig oder vielleicht sogar schädlich? Auf den Buzzword-Zug aufzuspringen und Digitalisierung als Selbstzweck bzw. des Digitalisierungs-Willen zu sehen, ist genauso falsch, wie die Augen vor Möglichkeiten und Veränderungen zu verschließen. Im Kontext der Polizei gibt es also aufgrund ihrer Konstitution als „Menschen-Geschäft“ schon bereits Digitalisierungsgrenzen, was aber nicht bedeutet, dass es keine Potenziale gibt, die durch Digitalisierung gehoben werden können, damit das Produkt „Polizei“ bei den Bürger*innen besser wird – ob in der direkten „digitalen Benutzung“ oder der vereinfachten konventionellen „Benutzung“, die durch den Arbeits- oder Organisationseinsatz von digitalen Technologien, Produkten und Prozessen im Hintergrund 📲, in der vordergründigen Wahrnehmung einfacher und besser wird. Was kann man sich als digitale Dienstleistungen vorstellen, die das Produkt „Polizei“ besser machen und wie äußert sich dieses „besser gemacht“?

Das Produkt „Polizei“ wird auf der einen Seite besser, wenn Präsenz und Arbeitsgeschwindigkeit erhöht werden können und auf der anderen Seite, wenn der bürokratische Aufwand für den/die Bürger*in in der Interaktion mit der Polizei angemessen reduziert wird. Es gibt mit Sicherheit noch mehr Möglichkeiten, Verbesserungen zu realisieren, die natürlich auch außerhalb eines Digitalisierungsvorhaben liegen können, aber für den Moment möchten wir uns den „mobilen Arbeitsplätzen“ und der „Online-Wache“ widmen.

Anzeigen auch digital zu melden ist natürlich bequem, aber diese einfach lose über E-Mails zu übermitteln, macht das Ganze für die Polizei nur minder einfacher bzw. ganz im Gegenteil, eher aufwändiger, weil es keine Masken oder Felder gibt, um bestimmte Daten abzufragen. Eine Online-Wache gewährleistet eine bessere, strukturellere Aufnahme von Online-Anzeigen. In Rheinland-Pfalz wird dieses Projekt seit knapp 1,5 Jahren umgesetzt. Und das ist auch wichtig und notwendig, weil Polizei Ländersache ist und entsprechende Anzeigen nicht einfach von einer anderen Landespolizeien übernommen werden können. Ein Delikt in Rheinland-Pfalz kann deshalb nicht problemlos bei der Online-Wache in Hessen angezeigt werden.

Um Polizisten*innen in ihren Kernaufgaben zu bestärken, d.h. allgemein präsent und schnell verfügbar zu sein 🚨🏃‍♀️, sollte es ihnen so einfach wie möglich sein, die notwendige Dokumentationsarbeit leisten zu können. Mobile Arbeitsplätze können ihren Teil dazu beitragen. Wenn die Sachbearbeitung von unterwegs, in den Streifenwagen selbst und mit entsprechenden Apps erledigt werden kann, dann können die Polizisten*innen auch mehr Zeit mit Streife-Fahren verbringen und sich die permanente Pendelei zwischen Dienstelle und Straße sparen.

Wo wir beispielsweise relativ weit vorne sind, sind mobile Arbeitsplätze für jeden Streifenpolizist*in bereitzustellen. Das haben wir schon relativ weit ausgerollt.“

Aber reicht das wirklich aus, um den gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht zu werden, die an eine Polizei im 21. Jahrhundert gestellt werden? Es sind sich alle einig, dass es das nicht ist. Aber der Schrei nach Erneuerung hallt immer sehr lange nach, und doch müssen Außenstehende auch das Innere solcher Organisationen verstehen, um einordnen zu können, dass solche Veränderungen kein Selbstläufer sind und der Erfolg darüber ganz entscheidend davon abhängt, ob die Betroffenen und Beteiligten abgeholt, mitgenommen und bestärkt werden. Behörden und Verwaltungen, und dazu zählt auch die Polizei, taten sich in der Vergangenheit sehr schwer damit, weil die Altersverteilung, die Sozialisation und die Organisationskultur nicht die aller besten Voraussetzung darstellten, um den Riesenschritt in Richtung Zukunft zu gehen. Es wurde sich kulturell bedingt an die umständlichen Dinge gewöhnt, wodurch es sich paradoxerweise als einen Kraftaufwand darstellt, sich auf den einfacheren, digitalen Weg zu begeben. Und das ist nicht sonderlich verwunderlich, wenn nicht regelmäßig, umfassend und strukturiert über den Arbeitsalltag, Arbeitsweisen und Prozesse reflektiert wird. Und selbst wenn der Impuls nicht von innen herauskommt, so fehlt es doch oftmals an einer vermittelnden Instanz, die zwischen den Sprachbarrieren der Außen- und Innenwelt moderiert.

„Ich würde sagen, dass wir schon eher veränderungsoffen sind, weil die Polizei ja schon einigen Veränderungen unterliegt. Also die Bereitschaft ist auf jeden Fall da, aber wie es mit allen Veränderungsprozessen so ist: die Menschen müssen mitgenommen werden.“

Behörden und Verwaltungen werden sich ändern und weiterentwickeln, da sind wir uns sehr sicher! Nicht nur weil der Gesetzgeber Druck ausübt, sondern auch weil die Überalterung zwangsläufig voranschreiten wird und die Legitimität und Relevanz für die Bürger*innen gerechtfertigt werden müssen, braucht es eine zeitgemäße Ausrichtung. Dafür braucht es letztlich aber Mut und Entschlossenheit. Es braucht Vorreiter und Menschen, die anpacken und verändern wollen. Immer nur den Schulterblick zu setzen, um zu schauen, was die anderen gerade so machen und zu adaptieren, verlangsamt den Fortschritt. Für diese Einstellung passt folgendes Sprichwort hervorragend als Abschluss:

„Wo kämen wir hin,
wenn alle sagten,
wo kämen wir hin,
und niemand ginge,
um einmal zu schauen,
wohin man käme,
wenn man ginge.“ 🤷‍♂️

Kurt Marti

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Jan schreibt hauptsächlich über Strategie und Management in der Digitalen Transformation sowie über digitale Geschäftsmodelle.
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