Netnographie – Ein Erfahrungsbericht über die Suche nach Kundenstimmen im Netz

Florian Piskora

Florian Piskora

Management Garden Team

6. September 2017
9 Minuten

Keine Idee zu neuen Produktvarianten oder Features? Ideen schon, aber keiner stärkt Ihnen dazu den Rücken? Parallel langweilt das Qualitätsmanagement nur mit lauwarmen Verbesserungen von anno dazumal? Dann probieren Sie mal Netnographie, ihrer eigenen, kleinen Do-it-Yourself-Online-Original-Kundenstimmen-Marktforschung. Ratzfatz am Arbeitsplatz gemacht, Kosten null Euro (außer Ihrer wertvollen Arbeitszeit) und megarelevant, weil direkt vom Kunden. Für kurze Zeit gibt es auch ein Promotionangebot der Safari GmbH, sich gratis eine Basisnetnographie erstellen zu lassen.

Was ist Netnographie?

Netnographie (engl. Netnography) heißt die Form der Kundenbeobachtung, bei der gezielt nach Kundenstimmen in Foren, Communities oder Blogs gesucht wird, um daraus Anregungen für ein verbessertes Angebot zu erhalten. Im Innovationsbereich gehört Netnographie zur Open Innovation, da Sie Ideen von außen in das Unternehmen fließen lässt, aber auch interne Ideen mit Kunden und externen Entwicklern diskutiert und weiterentwickelt werden.

Konsumenten und Markenfans unterhalten sich zunehmend über Produkte und Services in der Online-Welt. Auch über die Ihres Unternehmens. Mit Sicherheit! Fernab Ihrer Unternehmenswelt tauschen sich Kunden über ihre ganz eigenen Produkterlebnisse aus, diskutieren über Verbesserungsmöglichkeiten, geben anderen Konsumenten „geheime“ Tipps und plaudern unverfälscht mit der Community über Sie als Anbieter, Ihre Produkte oder Ihren Service. Aber seien Sie gewarnt: Dort draußen herrscht das wahre Leben und manches Feedback würden Kunden Ihrem Vertrieb oder dem Service so niemals mitteilen. Sehen Sie es als ehrliches, ungefiltertes Feedback, das Ihnen hilft, das Mysterium Kunde in seiner individuellen Umgebung besser zu verstehen. Auch wenn die Wahrheit manchmal wehtut.

Banner Safari Community

Wollen Sie mehr über eine kundenzentrische Ausrichtung Ihrer Innovationsarbeit erfahren? Besuchen Sie dazu unsere Webseite.

Vorteile und Nachteile der Netnographie

Die Netnographie ist eine der günstigsten und bequemsten Methoden, qualitative Marktforschung zu betreiben und echte Kundenstimmen für erste Ideen und Verbesserungsvorschläge einzusammeln. Da die Netnographie kein Marktforschungs-Know-How voraussetzt, ist diese Methode ein echter Quick-Win, nicht nur für Marketing, Produktmanagement oder R&D! Daher ist Sie auch der Startpunkt für alle, die sich mit frischen Customer Insights, Kundenbedürfnissen und Voice of the Customer beschäftigen.

Vorteile und Nachteile der Netnographie

Wie funktioniert Netnographie im B2B? Ein Erfahrungsbericht aus dem B2B

Im B2B finden Sie naturgemäß eine geringere Anzahl an Foren oder Blogs, als im B2C. Als spezialisierter Hersteller von Rübenerntern beispielsweise haben sie weniger Anwender in Ihren Märkten als Konsumgüterhersteller. Und im B2C wiederum tauschen sich Markenfans über Lifestyle Produkte wie Espressomaschinen, Rennräder oder Sportschuhe lieber aus, als beispielsweise über Stationäre Dampfbügelstationen.

Dennoch: Wir alle nutzen Oninemedien, wenn Sie und den Arbeitsalltag erleichtern und selbst im B2B etablieren sich immer mehr Plattformen zum Austausch von Experten. Bleiben wir beim Beispiel der Dampfbügelstationen: Wenn Sie das Suchfeld erweitern, also anstelle von Dampfbügeln Textilpflege allgemein recherchieren, sind Sie immer noch in der Problemwelt Ihrer Konsumenten, und können über angrenzende Probleme und Lösungen Rückschlüsse auf Ihr Produkt ziehen. Das Wildern in angrenzenden Gebieten ist also erlaubt! Im B2B hat ein Hersteller von Nahverkehrszügen nicht nach Kommentaren seiner direkten Kunden wie Kommunen oder Stadtwerken recherchiert, sondern die Wünsche der Endverbraucher, also von Pendlern und Reisenden analysiert, deren Bedürfnisse sich eine Kommune als „Besteller“ natürlich nicht entziehen kann. Nachstehende Grafik zeigt die Stufen der Netnographie nach Ausprägungsgrad – und Aufwand.

Stufen der Netnographie

Als DIY-Marktforscher werden Sie zuerst natürlich bestehende Foren und Chats recherchieren. B2B-Tipp: Melden Sie sich auf linkedin und XING in passenden Branchengruppen an. Dort können Sie nicht nur den Anwendern zuhören, sondern auch auf sehr fachlicher Ebene wertvolle Kommentare von Händlern und Geschäftskunden finden und sogar nachhaken. Starten Sie also bei bestehenden Plattformen. Sollten Sie zu wenig Insights gewinnen, kann es sich lohnen, eigene Plattformen aufzubauen, auch für einen kürzeren Zeitraum von einigen Monaten. Dafür entscheiden sich immer mehr größere Unternehmen, die regelmäßig Insights erhalten wollen, aus bestehenden Foren aber zu wenig Insights erhalten. Oder aber die Insights aus bestehenden Foren besser verstehen und gezielt nachfragen wollen. Dauerhafte, moderierte Plattformen, in denen sich Lead User oder auch die eigenen Mitarbeiter austauschen, unterhalten beispielsweise Unternehmen wie Vodafone, HypoVereinsbank, John Deere oder Bosch Automotive:

Moderierte B2B-Communities

Auswertung von Forenkommentaren

Wie kommen Sie nun zu konkreten Bedürfnissen oder Problemen Ihrer Kunden? Für diesen Blogbeitrag haben wir testweise nach Foren und dann in den Foren selbst recherchiert. Hier unser Beispiel als Erfahrungsbericht: Angenommen, Sie sind ein Hersteller von Geräten und Zubehör für Wohnraumbelüftung namens „pluggit“, vertreiben indirekt über Händler und Handwerker an private und kommerzielle Kunden und möchten wissen, welche Probleme oder Bedenken Ihre Anwender speziell mit Ihren Produkten haben. Gute, direkte Ergebnisse aus Foren ergibt eine Googlesuche „pluggit forum“ oder „pluggit erfahrungen“.

Parallel suchten wir „Haustechnik Forum“ oder „Wohnraumbelüftung Forum“ für eine breitere Suche, wurden aber schon in den ersten Foren schnell fündig. Schon haustechnikdialog.de listet 117 Threads allein für den Namen „pluggit“. Um die Auswertung zu demonstrieren, haben wir einige interessante Kommentare herausgepickt (siehe screenshots) und die Kommentare in verwertbare Kundenbedürfnisse umformuliert. Hier kann es manchmal knifflig werden, um keine Interpretations- oder „Übersetzungsfehler“ einzubauen.

Beispiel: „kühlung über erdwärmetauscher“ vermerkt „wo.wo“ bei seinen Gedanken zur Wahl der richtigen Wohnraumbelüftung im Thread „Zentral oder dezentral“ auf haustechnikdialog.de. Doch was genau ist das Problem, wo.wo? Der geschulte Marktforscher würde abstrakter formulieren. Denn: Das übergeordnete Problem ist die Kompatibilität mit Wärmetauschern allgemein. Der Wunsch nach einer Kühlungsmöglichkeit allein durch einen Erdwärmetauscher bedeutet für die Entwicklungsarbeit technisch etwas anderes, als Kühl- und Heizmöglichkeiten durch Wärmetauscher.

Experten aus der qualitativen Marktforschung oder Customer Insights Spezialisten haben hier ein sicheres Händchen, um keine Fehler in die Entwicklungsabteilung hereinzuschleppen. Mit ein wenig Übung, kriegt man aber auch selbst schon gute Ergebnisse: Im Beispiel haben wir aus zwei Threads 17 Kundenwünsche zu Wohnraumbelüftung mit Produkten von pluggit herausgearbeitet.

Man erkennt: Ein Forum allein wirft schon 117 Threads zu EINEM Hersteller aus. Und ein Thread liefert oft mehr als nur ein Kundenbedürfnis. Würden wir die Suche auf haustechnikdialog.de um Wettbewerbsprodukte erweitern, erhielten wir auch Kundenbedürfnisse, die der Wettbewerb heute nicht abdeckt.

Um den möglichen Umfang der Suche und der zu erwartenden Ergebnisse abzuschätzen, hier ein Beispiel eines Sportartikelherstellers aus dem Bereich Basketballschuhe. Aus 500 möglichen Communities wurden 5 relevante identifiziert, in denen enthusiastische Basketballspieler mit Produktwissen (das Suchfeld des Auftraggebers) sich besonders aktiv austauschten. In den 5 Communities wurden aus 240.000 Posts 9.000 relevante identifiziert. In der nachgelagerten Analyse konnten die Ergebnisse in die Bereiche Nutzererfahrung, Problemlokalisierung und Trendmonitor unterteilt werden. Schöne Anekdote: Ein Communitymitglied ist mittlerweile vom Sportartikelhersteller als Designer übernommen worden.

Filtern von Communityposts am Beispiel eines Sportartikelherstellers für den Bereich Basketballschuhe

 

Exkurs: Netnographie und die Value Proposition Canvas: So geht’s weiter

Sie haben nun fleißig gesammelt und Kundenbedürfnisse auf Post-It’s notiert? Dann kleben je nach Branche und Produkt wohl zwischen 50 und 500 Post-It’s an der Wand. Nun möchten Sie aus Kundenstimmen Produkte oder Services bzw. Lösungen erarbeiten. Zuerst sortieren Sie Dopplungen aus, und clustern bei Bedarf die Wünsche der Kunden. Möchten Sie die Bedarfe unterschiedlicher Kundengruppen unterscheiden, beispielsweise die Ihrer Händler und die der Kunden, machen Sie zwei Wände mit Kundenbedürfnissen auf.

Um Kundenwünsche- oder Probleme nun in Lösungen zu überführen, empfiehlt sich die Verwendung der Value Proposition Canvas, einer grafisch visuellen Aufbereitung Ihrer Ergebnisse.

Ableitung von Produkten mit der Value Proposition Canvas basierend auf Forenkommentaren (gelb)

Die Value Proposition trennt die Kundenseite von der Angebotsseite. Besonders hilft die Value Proposition Canvas bei der Verwertung von Netnographie-Ergebnissen, als diese auf Kundenseite unterscheidet zwischen Problemen (Pains) und Nutzen (Gains) der Kunden, sowie den eigentlichen Customer Jobs, also dem, was Kunden erledigt haben wollen. (Kommentar: Der Bereich Customer Jobs ist im B2B übrigens viel einfacher zu analysieren und formulieren als im B2C). So hilft die Value Proposition Canvas zwischen Problemen und Lösungen zu unterscheiden, und zu prüfen, ob zu Lösungen auch tragfähige Probleme und damit Nachfrage besteht. So entwickeln Sie mit der Netnographie sehr kundenorientiert neue Lösungen, für die Kunden auch zu zahlen bereit sind.

Sie wollen mehr zur Value Proposition Canvas? Dann lesen Sie diesen Post von Thomas Sontheim.

Auf welche Weise Sie die Erkenntnisse auch weiterverarbeiten, Netnographie gehört zum kleinen Einmaleins der Kundenanalyse. Ohne Netnographie ist jede qualitative Marktforschung unvollständig. Selbst wenn die Anzahl der Ergebnisse Sie nicht zufriedenstellt, wissen Sie danach, was im Netz über Sie und Ihre Produkte erzählt wird. Unser Tipp: Beauftragen Sie Werkstudenten, Praktikanten oder Auszubildende mit diesem Job der Online-Recherche. Oder Sie nutzen das Angebot der Safari GmbH und lassen für sich kostenlos recherchieren, solange es noch gilt (Stand September 2017).

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Florian Piskora
Florian Piskora

Management Garden Team

Florian Piskora, Diplom-Betriebswirt mit Maschinenbauhintergrund hat langjährige Erfahrung im technischen Produktmanagement und Business Development erfolgreicher Unternehmen aus Maschinenbau und Elektrotechnik. Rahmenbedingungen wie Lean Production, Six Sigma oder Quality Function Deployment sind für ihn keine Einschränkungen der Innovationskraft, sondern echte Treiber für solide Innovationsergebnisse. Mit seinem Know-How über den Wert einer B2B-Kundenbeziehung stellt er für mittelständische Unternehmen sicher, dass nur Produkte und Dienstleistungen auf den Markt kommen, für die Kunden wirklich zu zahlen bereit sind.

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